Inhalt:
Nachdem ihr Vater und Unternehmensleiter Kurt Tietjen nach einer Geschäftsreise nicht mehr aus New York zurückkehrt steht Luise Tietjen vor der Frage was nun mit dem Familienunternehmen zu geschehen hat. Wenngleich die junge Studentin sich bisher aus diesen Angelegenheiten herausgehalten hat versucht sie nun erpicht in die Fußstapfen ihres Vaters zu treten und wird mit einem Mal in die vermeintlich verantwortungsvolle Welt der Wirtschaft katapultiert.
Mistys Meinung:
In ihrem dritten
Prosawerk Gesellschaft mit beschränkter
Haftung beschäftigt sich Nora Bossong eingehend mit dem kapitalistischen
System und geht der Frage nach, wie es sich anfühlt in diesem am oberen Ende zu
stehen. Sie rückt dazu ein fiktives deutsches Familienunternehmen in den Mittelpunkt
ihrer Erzählung, das in seinem Werdegang wiederholt Parallelen zu realen
Unternehmen wie etwa der Krupp-Dynastie aufweist. Allerdings handelt es sich
bei der Firma dieses Romans namentlich „Tietjen und Söhne“ um ein Unternehmen,
das auf die Produktion und den Verkauf weicheren Materials setzt, seit seiner
Gründung durch Justus Tietjen. Dieser versteht sich bereits 1913 auf
geschicktes Marketing: „Je härter die
Welt, desto dringlicher der Wunsch nach weichen Stoffen. Wenn der Mensch fiel,
musste er aufgefangen werden. Wenn das Leben hart wurde, musste man ihm etwas
entgegensetzen. Der Mensch sehnte sich nach Weichheit, im Krieg mehr noch als
im Frieden. Justus Tietjen war gewappnet.“*
In Rückblicken
erfährt der Leser über das Leben der Gründerväter und deren geschickte
Marktstrategien, um das Unternehmen weiter auszubauen. Dabei unterlässt es die
Autorin nicht darauf anzuspielen, dass auch diese Familien-Firma
geschichtlichen und politischen Ereignissen nicht gänzlich entgangen ist: „Irgendwann, Jahrzehnte später, tauchte ein
Handtuch auf, in dem am unteren linken Rand ein Hakenkreuz eingestickt war.
Keiner konnte sagen, wo es gelegen, wer es gefunden hatte, und da war es auch
schon wieder verschwunden, so plötzlich, wie es ausgetaucht war, und niemand
fragte weiter nach.“**
Mit ähnlich
scharfer Ironie wird auch das Leben der Hauptfiguren Kurt Tietjen –Enkel des
Gründers Justus- und seiner Tochter Luise aufs Korn genommen. Als Kurt nach
einem geschäftlichen Termin nicht wieder aus New York zurückkehrt, steht Luise
Tietjen in Deutschland vor der Frage, ob sie sich der Verantwortung stellen und
das Unternehmen übernehmen soll, wenngleich sie diesem bisher möglichst
ausgewichen ist. Anhand der psychischen Konstitution der Figuren, die
wiederholt durch die strenge Regelung der Firma leidet, übt Nora Bossong
wiederholt Kritik am kapitalistischen System Europas. Auch die gegenwärtige und
zukünftige Situation der Weltwirtschaft wird von der Autorin mit in den Fokus
genommen und dem Leser genauer vor Augen geführt. Dabei pendelt sie im Stil
stets zwischen ironisch-humorvollen Anspielungen und beißendem Zynismus.
Besonders die Doppelmoral der Figuren bei deren politischen Anschauungen bietet
wiederholt eine gute Zielscheibe und es lässt sich bald erkennen, dass im
Unternehmen von der Entstehung bis in die Gegenwart kaum ein Mittel gescheut
wurde um den Profit zu mehren. Die Ausführungen der Autorin dazu wirken
–wenngleich natürlich mitunter überzeichnet- glaubhaft und gut recherchiert.
Dass bei Korruption, Steuerhinterziehung und weiteren Fälschungen viel im
Dunkeln läuft wird dem Leser dadurch deutlich gemacht, dass auch er bis zuletzt
nicht über alle Machenschaften und Intentionen der Figuren aufgeklärt wird.
Dies wiederum regt zu weiteren Vermutungen und tieferem Nachdenken an, während
der wiederholte Zynismus dazu provoziert sich die Frage zu stellen, ob die
Ausführungen der Autorin rein dystopische Fiktion sind, oder der Wirklichkeit
doch sehr nahe kommen.
Neben der
Konzentration auf die wirtschaftliche Situation wird auch die Geschichte der
Familie selbst genauer beschrieben und es lässt sich bald erkennen, dass auch
in dieser viel zum eigenen Vorteil gearbeitet wird, während selbstlose
Handlungen eher zur Ausnahme zählen. Die Protagonisten erfüllen auch darin
Schritt für Schritt mehr die Rolle von Antihelden, wenn sich auch Luise
zunächst noch als Sympathieträgerin anbieten würde. Durch die Dominanz der
Firma und den knallharten Alltag eines auseinanderbrechenden Unternehmens, das
sie zu retten versucht, verkommt sie jedoch ebenfalls immer mehr zu einer
eiskalten Spitzenmanagerin. Auch sie scheint bald wortwörtlich bereit über
Leichen zu gehen und fügt sich wie ihre Vorgänger dem Wohl des Unternehmens,
wobei sie trotz Verantwortung ebenso wenig bereit ist irgendeine Haftung zu
übernehmen.
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