Mittwoch, 9. Juli 2014

Gesellschaft mit beschränkter Haftung [Rezension]

Nach nur allzulanger Absenz nähere ich mich langam wieder meinem Bücherregal an, wobei es mir nach so vielen anstrengenden Wochen noch immer recht schwer fällt auch wirklich die Ruhe zum Lesen zu finden. Als kleiner Anreiz zum Bloggen schicke ich jedenfalls noch eine Rezension voraus, die ich bereits vor einigen Tagen geschrieben habe.




Inhalt:


Nachdem ihr Vater und Unternehmensleiter Kurt Tietjen nach einer Geschäftsreise nicht mehr aus New York zurückkehrt steht Luise Tietjen vor der Frage was nun mit dem Familienunternehmen zu geschehen hat. Wenngleich die junge Studentin sich bisher aus diesen Angelegenheiten herausgehalten hat versucht sie nun erpicht in die Fußstapfen ihres Vaters zu treten und wird mit einem Mal in die vermeintlich verantwortungsvolle Welt der Wirtschaft katapultiert.


Mistys Meinung:



In ihrem dritten Prosawerk Gesellschaft mit beschränkter Haftung beschäftigt sich Nora Bossong eingehend mit dem kapitalistischen System und geht der Frage nach, wie es sich anfühlt in diesem am oberen Ende zu stehen. Sie rückt dazu ein fiktives deutsches Familienunternehmen in den Mittelpunkt ihrer Erzählung, das in seinem Werdegang wiederholt Parallelen zu realen Unternehmen wie etwa der Krupp-Dynastie aufweist. Allerdings handelt es sich bei der Firma dieses Romans namentlich „Tietjen und Söhne“ um ein Unternehmen, das auf die Produktion und den Verkauf weicheren Materials setzt, seit seiner Gründung durch Justus Tietjen. Dieser versteht sich bereits 1913 auf geschicktes Marketing: „Je härter die Welt, desto dringlicher der Wunsch nach weichen Stoffen. Wenn der Mensch fiel, musste er aufgefangen werden. Wenn das Leben hart wurde, musste man ihm etwas entgegensetzen. Der Mensch sehnte sich nach Weichheit, im Krieg mehr noch als im Frieden. Justus Tietjen war gewappnet.“*

In Rückblicken erfährt der Leser über das Leben der Gründerväter und deren geschickte Marktstrategien, um das Unternehmen weiter auszubauen. Dabei unterlässt es die Autorin nicht darauf anzuspielen, dass auch diese Familien-Firma geschichtlichen und politischen Ereignissen nicht gänzlich entgangen ist: „Irgendwann, Jahrzehnte später, tauchte ein Handtuch auf, in dem am unteren linken Rand ein Hakenkreuz eingestickt war. Keiner konnte sagen, wo es gelegen, wer es gefunden hatte, und da war es auch schon wieder verschwunden, so plötzlich, wie es ausgetaucht war, und niemand fragte weiter nach.“**

Mit ähnlich scharfer Ironie wird auch das Leben der Hauptfiguren Kurt Tietjen –Enkel des Gründers Justus- und seiner Tochter Luise aufs Korn genommen. Als Kurt nach einem geschäftlichen Termin nicht wieder aus New York zurückkehrt, steht Luise Tietjen in Deutschland vor der Frage, ob sie sich der Verantwortung stellen und das Unternehmen übernehmen soll, wenngleich sie diesem bisher möglichst ausgewichen ist. Anhand der psychischen Konstitution der Figuren, die wiederholt durch die strenge Regelung der Firma leidet, übt Nora Bossong wiederholt Kritik am kapitalistischen System Europas. Auch die gegenwärtige und zukünftige Situation der Weltwirtschaft wird von der Autorin mit in den Fokus genommen und dem Leser genauer vor Augen geführt. Dabei pendelt sie im Stil stets zwischen ironisch-humorvollen Anspielungen und beißendem Zynismus. Besonders die Doppelmoral der Figuren bei deren politischen Anschauungen bietet wiederholt eine gute Zielscheibe und es lässt sich bald erkennen, dass im Unternehmen von der Entstehung bis in die Gegenwart kaum ein Mittel gescheut wurde um den Profit zu mehren. Die Ausführungen der Autorin dazu wirken –wenngleich natürlich mitunter überzeichnet- glaubhaft und gut recherchiert. Dass bei Korruption, Steuerhinterziehung und weiteren Fälschungen viel im Dunkeln läuft wird dem Leser dadurch deutlich gemacht, dass auch er bis zuletzt nicht über alle Machenschaften und Intentionen der Figuren aufgeklärt wird. Dies wiederum regt zu weiteren Vermutungen und tieferem Nachdenken an, während der wiederholte Zynismus dazu provoziert sich die Frage zu stellen, ob die Ausführungen der Autorin rein dystopische Fiktion sind, oder der Wirklichkeit doch sehr nahe kommen.

Neben der Konzentration auf die wirtschaftliche Situation wird auch die Geschichte der Familie selbst genauer beschrieben und es lässt sich bald erkennen, dass auch in dieser viel zum eigenen Vorteil gearbeitet wird, während selbstlose Handlungen eher zur Ausnahme zählen. Die Protagonisten erfüllen auch darin Schritt für Schritt mehr die Rolle von Antihelden, wenn sich auch Luise zunächst noch als Sympathieträgerin anbieten würde. Durch die Dominanz der Firma und den knallharten Alltag eines auseinanderbrechenden Unternehmens, das sie zu retten versucht, verkommt sie jedoch ebenfalls immer mehr zu einer eiskalten Spitzenmanagerin. Auch sie scheint bald wortwörtlich bereit über Leichen zu gehen und fügt sich wie ihre Vorgänger dem Wohl des Unternehmens, wobei sie trotz Verantwortung ebenso wenig bereit ist irgendeine Haftung zu übernehmen.


*Nora Bossong: Gesellschaft mit beschränkter Haftung. München: Carl Hanser Verlag 2012, S.45.
**Ebd., S. 56.
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Titel: Gesellschaft mit beschränkter Haftung
Autorin: Nora Bossong
Sprache: Deutsche
Gebundene Ausgabe: 296 Seiten

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