Freitag, 29. Juni 2012

Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand [Rezension]

Projekt SUB-Abbau geht flott voran und dafür beschloss ich nun ein Buch aus dem Regal zu pflücken, von dem ich annehmen konnte, dass es sich als etwas tiefschürfender als sein Vorgänger erweisen würde. Diese Annahme erwies sich als absolut korrekt.




















Handlung:


Allan Karlsson wird 100 Jahre alt und dieser Geburtstag soll gebührlich gefeiert werden: sogar der Stadtrad und die Lokalpresse wollen dabei anwesend sein. Doch eine wichtige Person taucht an diesem Ehrentag dann schließlich nicht auf. Allan selbst. Er stiehlt sich aus dem Fenster seines Altersheims und taucht ohne bestimmtes Ziel unter. Dabei kommt er quasi zufällig an den Geldkoffer eines Verbrechers und in der Gesellschaft eines Meisterdiebes, eines Imbissbudenbesitzers deren Verlobten und ihren Haustieren wird er bald wegen 3-Fachmordes von der Polizei gesucht und noch viel dringender von der kriminellen Organisation, der er den Koffer entwendet hat.

Abgesehen von diesem Abenteuer erzählt das Buch zwischendurch auch noch episodenweise aus dem langen Leben von Allan. In diesem zeigt sich sehr schnell wie es ihm mit nur dreijähriger Grundschulausbildung trotzdem gelingt erfolgreich Bekanntschaften in der Weltgeschichte zu schließen. Dabei trifft er keine Geringeren als General Franko, Genosse Stalin, Präsident Truman, Mao Tse-tung und weitere ähnlich berühmte Persönlichkeiten und beinflusst diese auch noch erheblich.

Mistys Meinung:


Gleich zu Beginn des Buches bekam ich von diesem die Schelmenbrille aufgesetzt und es dauerte ein paar Seiten ehe ich mich daran gewöhnt hatte, wirkt diese doch auf den ersten Leseblick etwas weltfremd und fast schon kühl. Dann aber drang bereits gerade dank des besonderen Tons der Humor durch und brachte mich ordentlich zum Lachen. Spätestens nach dem ersten geschichtlichen Rückblick auf den Protagonisten hätte ich es keineswegs wieder aus der Hand gelegt.

Der Autor beweist gerade bei diesen Episoden erstaunlichen Einfallsreichtum wenn es darum geht Personen, Orte und Geschehnisse zu verknüpfen, die eigentlich wenig mit einander zu tun haben (sollten). Als knallroten Faden verwendet er dafür seine Hauptfigur Allan und verpasst der Politikgeschichte ein ganz neues, sehr humorvolles Hemdchen.

Ein selten geniales Leseamusement und erinnert mich dabei stark an das Buch "Engelszungen", aber wie auch bei diesem ist anzumerken, dass es gewiss nicht Jedenlesers Sache ist und einem ohne Geschichts und Politikwissen einiges an Witz entgeht.

Leseprobe:


">>Ich werde den Kapitalismus zerschmettern! Hören Sie? Ich werde jeden einzelnen Kapitalisten zerschmettern! Und mit Ihnen werde ich gleich anfangen, Sie elender Hund, wenn Sie uns mit der Bombe nicht helfen!<<
Allan stellte fest, dass er innerhalb von einer Minute sowohl als Ratte als auch als Hund tituliert worden war. Und dass Stalin wohl nicht alle Tassen im Schrank hatte, denn jetzt hatte er offenbar doch noch vor, Allans Dienste in Anspruch zu nehmen.
Doch der hatte keine Lust, sich weitere Unverschämtheiten an den Kopf werfen zu lassen. Er war nach Moskau gekommen, um den Leuten zu helfen, nicht um sich anschreien zu lassen. Sollte Stalin doch zusehen, wie er alleine zurecht kam.
>>Ich hab mir da gerade was überlegt<<, verkündete Allan.
>>Was?<< fuhr Stalin ihn an.
>> Wie wär's wenn Sie sich mal diesen Schnurrbart abrasieren?<<
Damit war das Abendessen beendet, denn der Dolmetscher wurde ohnmächtig."*

* Jonas Jonasson: Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand. München: carl's books 2009, S.246
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Titel: Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand
Autor: Jonas Jonasson
Sprache: Deutsch
Taschenbuch: 413 Seiten

Der Arbeitsmann [Gedicht]

Heute entdeckte ich ein ansprechendes Gedicht in einer Friedhofsecke:


            Der Arbeitsmann

Wir haben ein Bett, wir haben ein Kind,
                 mein Weib!
Wir haben auch Arbeit, und gar zu zweit,
und haben die Sonne und Regen und Wind.
Und uns fehlt nur eine Kleinigkeit,
um so frei zu sein, wie die Vögel sind:
                  Nur Zeit.

Wenn wir Sonntags durch die Felder gehn,
                 mein Kind,
und über den Ähren weit und breit
das blaue Schwalbenvolk blitzen sehn,
oh, dann fehlt uns nicht das bißchen Kleid,
um so schön zu sein, wie die Vögel sind:
                Nur Zeit.

Nur Zeit! Wir wittern Gewitterwind,
               wir Volk.
Nur eine kleine Ewigkeit;
uns fehlt ja nichts, mein Weib, mein Kind,
als all das, was durch uns gedeiht,
um so kühn zu sein, wie die Vögel sind.
              Nur Zeit!*



*Richard Dehmel: Der Arbeitsmann. Aus: Dieter Hoffmann: Arbeitsbuch Deutschsprachige Lyrik 1880 - 1960. Tübingen und Basel: A.Francke Verlag 2001, S.27

Mittwoch, 27. Juni 2012

Drachenassistent eingestellt [News]

Bei mir durfte letzte Woche dank der Skyrim Collectors Edition, in welcher er enthalten war, der Drache Nabu einziehen. Benannt habe ich ihn nach der Hauptfigur aus einem erst kürzlich gelesenen Drachenbuch (die Renzension dazu hier). Er verharrt in einer merkwürdig anmutenden Position, da er eigentlich für einen (meiner Meinung nach) undekorativen Plastikfelsen vorgesehen ist. Weil ich ihm diese klobige Residenz verwehre, wurde ihm zunächst die Rolle als Friedhofswächter meines neusten Regals zugeteilt.

Gestern jedoch fiel mir auf, dass er dank seiner besonderen Haltung einen herrlichen Bücherhalter abgibt, weswegen er ab jetzt auch noch die künftigen Rezensionsexemplare für Fotos präsentieren wird.

 Herzlich Willkommen Nabu!









Dienstag, 26. Juni 2012

Der Zigeuner und das Mädchen [Rezension]

Ja, dieses Mal griff ich in die Kitschkiste. Allerdings nicht so tief wie es der deutsche Titel und ganz besonders der Buchumschlag glauben lassen! So hört sich "The Return of the Gypsy" beiweitem nicht so "groschig" an wie die Deutsche Version "Der Zigeuner und das Mädchen", die damit ja wirklich alle Kitschzellen im Gehirn auf maximale Produktion stellt. Ich wage zu behaupten, dass dieses Buch absichtlich so eingekleidet wurde, damit man es in den Supermärkten gleich neben "Sturm der Leidenschaft" oder "Melodie der Herzen" stellen konnte! Von diesen hebt es sich meines Erachtens nämlich sehr wohl ab, aber ja, natürlich lassen sich typische Züge darin finden.

Handlung:


Das Buch, das sich übrigens als historischer Roman bezeichnet oder von irgendeinem fröhlichen Verleger (der in der Schule im Geschichtsunterricht seine Origamikenntnisse mit Papierfliegern verbessert hat) so bezeichnet wird, siedelt Handlung und die Protagonisten in England Ende des 19.Jahrhunderts an. Die kleine Jessica wächst in einer wohlhabenden Familie auf einem Landsitz auf und stößt während eines Ausritts auf den Zigeuner Romany Jake. Sie ist sofort von seiner charmanten, heiteren Art angetan und als er wenige Tage später einen Mann ermordet, um ein Zigeunermädchen davor zu bewahren von diesem vergewaltigt zu werden, setzt sie sich dafür ein, dass ihr Vater als Verteidiger von Jake vor Gericht auftritt. Er entgeht somit der Todesstrafe, wird aber vorerst für 7 Jahre nach Australien deportiert. Die 11jährige Jessica hat also erstmal genug Zeit ordentlich heran zu wachsen, da Jake zum Zeitpunkt seiner Deportierung nämlich bereits um die 20 ist. Mit 18 beschließt sie dann jedoch einen anderen zu heiraten und als Jake plötzlich zurückkehrt merkt sie, dass sie die falsche Entscheidung getroffen hat...

Mistys Meinung:


Ja, es handelt sich laut Beschreibung um einen historischen Roman...ganz richtig. Die Familienmitglieder erschöpfen sich nämlich nicht nur darin bei Tische Suppe zu schöpfen, sondern auch über die aktuellen politischen Ereignisse zu sprechen. In diesem Fall handelt es sich dabei um den Aufstieg und Fall Napoleons. Wer also Lust hat die fünf historischen Nudeln in der Frittatensuppe zu finden - nur zu! Anderen empfehle ich es lieber mit den Vorzügen zu beschäftigen, die diese Geschichte aufweist: Schöne englische Herrensitze, Meer, Pferde, eine zufriedenstellende Handlung in welcher Menschen, die nerven oder im Weg sind, sterben geschickt werden.

Insofern eine angenehmes Buch. Mich hat die Autorin, deren echter Name und Pseudonym beide auf dem Cover abgedruckt sind (den Sinn dahinter soll mir aber mal wer erläutern), sogar bei diesem Werk überrascht. Im Gegensatz zu ihrem Buch "Sommermond" wagt sie sich sogar ziemlich weit mit gesellschaftlichen Verstößen vor und es ergeben sich auch Überraschungen bezüglich den Charaktern der Protagonisten.

Also bitte, dieses Buch gehört auf den Bücherfriedhof und nicht in Supermarktregalreihen.

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Titel: Der Zigeuner und das Mädchen
Autor: Vicotria Holt, Philippa Carr
Sprache: Deutsch
Gebundene Ausgabe: 447 Seiten

Montag, 25. Juni 2012

Drachensturm [Rezension]

Soooo, mittlerweile heulen ja schon Werwölfe in den Friedhofsgängen und Vampire zischen zwischen (ist das ein kleiner Zungenbrecher?) den Seiten, aber jetzt wird es Zeit für etwas Größeres - Drachen! Dieser Wälzer, von seiner Dicke her proportional zu einem angesehenen Drachenalter, begleitete mich auf eine 4tägige Exkursion und wurde von mir ebenso gehorsam getragen wie die Ritter von ihren Drachen darin.


 *
 

Handlung:


 Die junge Spanierin Mila kommt im Zuge der Eroberungen von Francisco Pizzaro in das heutige Peru. Sie ist Mitglied des Drachenordens, aber als Frau, genaugenommen als blinde Frau nicht für einen Drachensattel vorgesehen. Doch als ein Drachenritter stirbt und sein Nachfolger bestimmt werden soll, weist der Drache Nabu alle Vorschläge zurück und erwählt stattdessen Mila. Den beiden gelingt es eine übernatürliche Verbindung herzustellen, die sie durch seine Augen sehen lässt. Anders als von ihren Ordensbrüdern erwartet erweist sie sich dadurch als geschickte, wenn auch eigensinnige Kriegerin.
Zeitgleich wird von dem Eingeborenen Kemaq erzählt, der als laufender Bote seiner Bergstadt durch den Angriff der Spanier auf sein Volk mitten ins Kampfgeschehen gerissen wird. Dabei begegnet er nicht nur einmal der blinden Fremden auf ihrem fliegenden Gott...

Mistys Meinung:


Drache gut, alles gut? Nun ja, beinahe. Die Drachen wurden erstaunlich gut in den historischen Kern eingeflochten und die Idee der spanischen Eroberer, die mit den feuerspeienden Echsen über die überraschten Einwohner Südamerikas herfallen ist eigentlich fast schon genial. Diese Beschreibung hilft garantiert bestens nach auch einem heutigen Leser begreiflich zu machen warum die Eingeborenen die Europäer für Götter gehalten haben. Die Goldgier und der Eroberungsdurst von Pizzaro und seinem Gefolge wird dabei gut reflektiert. Abgesehen davon gibt es auch immer wieder Anspielungen auf andere historische Personen und Ereignisse, die von geschichteablehnenden Fantasyfans aber getrost überlesen werden können. 

Die Spannung des Buchs erhebt sich allerdings erstmal so langsam wie ein müder Drache, der erstmal jede Schuppe einzeln gekrault haben will, bevor er's brennen lässt. Das macht das Buch in gewisser Weise sympatisch, wenn man viele Stunden Busfahrt vor sich hat, die benötigte Leseausdauer allerdings sollte nicht unterschätzt werden.

Während sich die Drachen jetzt irgendwo in Friedhofsmitte niederlassen und dort ein bisschen einheizen schleich ich mich mal zu einer anderen Abteilung weiter. Bei soviel Fantasyhitze brauch ich eine Abkühlung bei einer anderen Rubrik.


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Titel: Drachensturm
Autor: Torsten Fink
Sprache: Deutsch
Taschenbuch: 782 Seiten

Freitag, 22. Juni 2012

Was geschah nachdem Nora ihren Mann verlassen hatte...[Zitat]

Weil ich mich vor einem Jahr im Zuge einer Seminararbeit mit den Theaterstücken von Elfriede Jelinek beschäftigt habe, ist mir jetzt ein amüsantes Zitat wieder eingefallen:

Personalchef: An meiner Position können Sie studieren, daß ein Beruf keine Flucht, sondern eine Lebensaufgabe ist.
Nora: Ich will aber mein Leben noch nicht aufgeben! *



*Was geschnach nachdem Nora ihren Mann verlassen hatte oder Stützen der Gesellschaften. Aus: Elfriede Jelinek: Theaterstücke.Hrsg. von Ute Nyssen. Reinbek bei Hamburg : Rowohlt 1999, S.9

Mittwoch, 20. Juni 2012

Der Splitter [Zitat]

„Der Splitter im Auge ist das beste Vergrößerungsglas.“*


*Theodor W. Adorno: Minima Moralia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben., Suhrkamp, Berlin und Frankfurt am Main 1951

Sonntag, 17. Juni 2012

Ein gutes Mädchen träumt [Gedicht]

Wegen schlafloser Nacht schlich ich gestern noch zwischen den Regalen umher und zog Gedichtbände hervor. Aufgeschlagen auf zufälliger Seite gefiel mir gleich dieses von Erich Kästner:


Ein gutes Mädchen träumt

Ihr träumte, sie träfe ihn im Cafe.
Er läse. Und säße beim Essen.
Und sähe sie an. Und sagte zu ihr:
»Du hast das Buch vergessen!«


Da nickte sie. Und drehte sich um.
Und lächelte verstohlen.
Und trat auf die späte Straße hinaus
und dachte: ich will es holen.


Der Weg war weit. Sie lief und lief.
Und summte ein paar Lieder.
Sie stieg in die Wohnung. Und blieb eine Zeit.
Und schließlich ging sie wieder.


Und als sie das Cafe betrat,
saß er noch immer beim Essen.
Er sah sie kommen. Und rief ihr zu:
»Du hast das Buch vergessen!«


Da stand sie still und erschrak vor sich.
Und konnte es nicht verstehen.
Dann nickte sie wieder. Und trat vor die Tür,
um den Weg noch einmal zu gehen.


Sie war so müde. Und ging. Und kam.
Und hätte so gerne gesessen.
Er sah kaum hoch. Und sagte bloß:
»Du hast das Buch vergessen!«


Sie kehrte um. Sie kam. Sie ging.
Schlich Treppen auf und nieder.
Und immer wieder fragte er.
Und immer ging sie wieder.


Sie lief wie durch die Ewigkeit!
Sie weinte. Und er lachte.
Ihr flossen Tränen in den Mund.
Auch noch, als sie erwachte.*

*Erich Kästner: Ein gutes Mädchen träumt. Aus: Dieter Hoffmann: Arbeitsbuch Deutschsprachige Lyrik 1916 - 1945.Tübigen: A.Francke Verlag 2001, S.88

Freitag, 15. Juni 2012

Der Große Fall [Rezension - oder so]

Und einen weiteren Schritt habe ich mich auf die Literatur Handkes zugewagt - musste ich mich wagen. Bei meinem Schreiten in dieses Buch hinein bin ich allerdings erst selbst mal gefallen -in ein Konzentrationsloch. Wenn die vorige Fantasyliteratur mich mitgerissen hat in eine bunte, wilde Welt so hat mich diese Geschichte erstmal zurückgehalten, hingesetzt und mich angewiesen zu warten. Zu warten und zu schauen (und nochmal zu warten). Als ungeduldige, schnelle Leserin, die auf Handlung aus ist..nun ja, als eine solche fällt die Konzentration da recht schwer.

Handlung:


Die Erzählung befasst sich mit einem -dem letzten?- Tag eines Schauspielers, der aus dem Haus seiner Geliebten(??), das im Wald liegt, hinein in die Stadt wandert. Auf seinem Weg sieht dieser Protagonist sehr viel und denkt sich noch viel mehr. Die von ihm angestellten Reflektionen erscheinen mir aber nicht immer ganz von dieser Welt, oder liegen zumindest außerhalb meiner bekannten und zum Teil auch möglichen Denkenswelt. Sie reichen von kultur- und vor allem gesellschaftskritischen Elementen zu Tötungs-, Rettungs- und Vergangenheitsgedanken. Ähnlich geschieht dies auch bei seinen Handlungen, er trifft auf einige Menschen -bekannt wie unbekannt- und sein Verhalten erscheint dabei selten schlüssig, oder sagen wir üblich. Die Beobachtungen, die dieser Schauspieler (der vom Erzähler nicht selten "mein Schauspieler" genannt wird) auf dieser Wanderung macht erscheinen dabei ebenso detailreich wie surreal...und er wandert lang.

 

Mistys Meinung:


Zugegeben, dieses Buch verlangt Geduld, sehr viel Geduld, aber es hat doch einen ganz eigenen Reiz. Wenn man sich drauf einlässt bekommt man eine anspruchsvolle Handkeführung durch dessen interessante Erzähllandschaft. Mir gingen dabei vermehrt Lichter auf (wenn manche auch im selben Satz mit einem traurigen Zischen wieder ausgelöscht wurden) und gerade weil sehr viel zu rätseln bleibt hat das Lesen eine besondere Wirkung. In vielen Sätzen reichen sich Kafka und Stifter die Hand, in anderen wiederum winkt Handke höchst selbst.

Und ob der große Fall ein Fall im Sinne des Fallens (die durch Gravitation bewirkte Bewegung eines Körpers nach unten) oder eher ein Rechtsfall, möglicherweise sogar Sündenfall ist...ich habe keine Ahnung. Es empfiehlt sich diese Frage nach der Lektüre selbst zu entscheiden und wenn möglich mit anderen Lesern zu diskutieren.

Leseprobe:


"Sie brachen ab, oder ich war es, der sie abbrach, die Freuden. Und das rührte daher, daß meine Freude, indem sie sich ausbreiten wollte über mich hinaus, in einem bestimmten Moment unweigerlich an das Unglück der anderen stieß, an mein Bewußtsein vom Unlück, vom Elend und von der Verlassenheit der anderen."*

*Peter Handke: Der Große Fall. Berlin: Suhrkamp 2011, S.186/87
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Titel: Der Große Fall
Autor: Peter Handke
Sprache: Deutsch
Gebundene Ausgabe: 279 Seiten


Mittwoch, 6. Juni 2012

Mortlock [Rezension]

Auch wenn dieses Buch für jüngere Leser als mich gedacht ist (da es sich um ein Jugendbuch handelt, wie ich selbst wirklich beim Lesen festgestellt habe) hat es mich allein des Covers und den schwarzen Seitenrändern wegen angezogen, aber auch den Inhalt fand ich sehr interessant und sogar für mein Alter noch ansprechend.

*

Handlung:


Erzählt wird die Geschichte der 13jährigen Josie, die als Messerwerferin in London im Jahr 1854 in einem Theater auftritt. Zwar ist sie eine Weise, doch wird sie gut von ihrem "Guardian" versorgt, der selbst als Zauberer Cordamom auftritt. Bald gerät ihr Leben jedoch aus den Fugen als die beiden von drei vermeintlichen Tanten besucht werden, die sich als Ghule entpuppen und Josies Vormund ermorden. Dieser hinterlässt ihr jedoch ein kurzes Testament indem sie erstmals erfährt, dass sie einen Zwillingsbruder hat und dass Cordamom in der Vergangenheit eine Pflanze namens Amarant entdeckt hat, welche dem Besitzer die Macht über Leben und Tod verleiht. Sein letzter Wille ist, dass Josie sich aufmacht um diese zu zerstören. Sie sucht ihren Zwillingsbruder auf, der nicht nur der Assistent eines Totengräbers ist, sondern auch die Fähigkeit besitzt tote Tiere und Menschen kurzzeitig wiederzubeleben. Gemeinsam mit ihm begibt sie sich auf die Suche nach der mysteriösen Pflanze, verfolgt von den Ghulen und Schlimmerem....

Mistys Meinung:


Ehrlich gesagt war ich beim Lesen froh, keine 10 mehr gewesen zu sein, weil mir auch so bei einigen Passagen ausreichend das Grauen gekommen ist. Die Thematik rund um Untote und ähnliches wurde vom Autor ziemlich gut eingefangen und man kann sich die jeweiligen Wesen ausgesprochen gut vorstellen. Für ein junges Publikum wurde außerdem das Spiel mit Gut & Böse und dass dieses auch vermischt auftreten kann überraschend gut verarbeitet, wodurch es zu unerwarteten Wendungen kommt. Allein historisch hinkt es ein bisschen, angesichts der Freiheiten die die Figur Josie als Mädchen in der Mitte des 19.Jahrhunderts bekommt - aber wenn sie schon gegen Ghule kämpfen muss sei ihr das schon erlaubt. Das Englisch ist übrigens entsprechend leicht zu lesen.

Ein Buch, das in vielerlei Hinsicht gut auf den Bücherfriedhof passt.


* Bild von http://www.jonmayhew.co.uk/
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Titel: Mortlock
Autor: Jon Mayhew
Sprache: Englisch
Gebundene Ausgabe: 375 Seiten

Samstag, 2. Juni 2012

Die Werwölfe [Rezension]

Dem Heyneverlag haben es Fabelwesen und ihre Artikel wohl angetan. Ganz besonders mögen sie natürlich "DIE ELFEN", "DIE ZWERGE", "DIE VAMPIRE" und mittlerweile auch noch, was mich bisher am meisten erfreut: DIE WERWÖFLE! Gehören diese doch seit ich lesen kann zu meinen absoluten Lieblingskreaturen...und schon das verheißungsvolle Cover ließ mich ahnen, dass sie in diesem Buch erscheinen wie sie mir am liebsten sind: blutrünstig, mörderisch und dabei ohne Hauch von Schmusewölfchen (wie ja unlängst populär zu werden scheint).

*


Bezüglich der Handlung:
Angesiedelt im Europa des 19.Jahrhunderts, kurz nach dem endgültigen Niederschlagen Napoleons; Der junge italienische Adelige Niccolo soll nach dem Wunsch seines Vater eine Bildungsreise antreten. Während deren Verlauf lernt er den englischen Dichter Lord Byron kennen, der ihn in seine Kreise aufnimmt. Doch bald schon muss Niccolo erkennen, dass die Mitglieder der vermeintlichen Literatengesellschaft aus Werwölfen besteht. Trotz all dem was ihn seine christiliche Kindheit gelehrt hat, fühlt er sich furchtbar von ihnen angezogen und ist geneigt ihrem Angebot -aufgenommen zu werden- nachzugeben. Während er mit sich selbst kämpft bemerkt er nicht wie seine Gefährtin Valentine die Bekanntschaft mit einem Vampir macht, der diese sogar noch mehr als Blut begehrt. Was vorläufig jedoch sowohl den Werwölfen, Vampiren und den beiden Menschen in deren Bann entgeht: Die Inquistion wurde vom Heiligen Stuhl selbst entsandt um die gotteswidrigen Kreaturen und ihre Anhänger von der Erde zu tilgen.

Leseprobe:

"Vor Niccolos Augen vollzog sich die seltsamste und schrecklichste Wandlung, die alle Vernunft zu sprengen schien. Das Fleisch zog sich zusammen, die Haut veränderte sich, und Shelley fiel auf Hände und Füße. Dunkle Flecken bildeten sich auf seiner Haut, und es dauerte einige Sekunden, bis Niccolo erkannte, dass dort Fell spross. Shelleys Gesicht verlängerte sich, als er den Mund wie zu einem Gähnen öffnete. Als er ihn schloss, war er zur Schnauze geworden, aus der große Fangzähne ragten. Die Gestalt wurde kleiner, und schon bald war sie ganz mit dichtem Pelz bedeckt. Doch irgendwo in dieser tierischen Form konnte Niccolo noch Shelley erkennen, und er stöhnte entsetzt auf."**


Die ersten Seiten des Buches haben mich eher enttäuscht, da die Sätze etwas zu gekünstelt wirken und sich vor Adjektivanreicherungen kaum retten können. Auch die beiden Hauptfiguren Niccolo und Valentine haben mich anfangs nicht begeistern können, da sie mir zu flach und naiv erschienen sind. Das sind jedoch die einzigen Nachteile, die sich in meinen Augen an der Geschichte finden lassen und: beide erübrigen sich auf den folgenden Seiten. Die Charaktere machen im Laufe der Geschichte eine große Entwicklungdurch, angesichts der Erfahrungen die sie sammeln müssen und die Sätzen lesen sich sehr bald flüssiger. Abgesehen davon ist es eine wunderbar komplexe Geschichte mit zahlreichen Handlungssträngen, die geschickt verflochten werden und niemals zu viel preisgeben. Sie entwickeln sich unerwartet und verlassen mehrmals die ,sonst für Vampir und Werwolf üblichen, Aufenthaltsorte. Die Kreaturen ihrerseits sind wie bereits erwähnt grausam und es kommt zu zahlreichen Morden, darin erschöpft sich deren Existenz aber beiweitem nicht! Sie zeigen Gewissen und Geistestärke - mit reinen blutgetriebenen Monstern ist also nicht zu rechen.

Schöne Geschichte, diese Wölfe dürfen gern durch die Gänge des Bücherfriedhofs heulen.


* Bild von hardebusch.net
** Christoph Hardebusch: Die Werwölfe. München: Wilhelm Heyneverlag 2009, S175/76

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Titel: Die Werwölfe
Autor: Christoph Hardebusch
Sprache: Deutsch
Taschenbuch: 495 Seiten